Karin Bürki
Text & Bilder: Karin Bürki
Keine andere Schweizer Stadt weist eine höhere Dichte an herausragender Betonbaukunst auf als Basel. Viele Sichtbeton-Solitäre verwischen die Grenzen zwischen Kunst und Architektur und stehen für gesellschaftlichen Aufbruch. Trotzdem fallen die Bauten selbst bei den Einheimischen etwas unter den Radar. Grund genug für eine Entdeckungstour zu den Pionieren aus dem frühen 20. Jahrhundert und den Klassikern der 60er und 70er Jahre - dem goldene Zeitalter der Betonmoderne.
Roh, radikal und doch raffiniert: Unser visueller Rundgang führt zu acht wegweisenden Beton-Solitären, die die Regeln neu definiert haben und aus dem Basler Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Wie wär’s mit einem Besuch der ersten Sichtbetonkirche der Schweiz oder dem wohl schönsten Beton-Origami der Welt? Wagen Sie den Trip durch einen psychedelischen Tunnel und entspannen Sie sich anschliessend bei einer Tasse Kaffee in einem ehemaligen Kakaobohnen-Silo.
Alle Objekte befinden sich im Stadtzentrum und sind bequem mit Tram und Bus erreichbar. Übrigens: Die Sightseeing-Tour lässt sich auch mit der ersten brutalistischen (E-)Bike-Tour der Schweiz verbinden. Lust darauf, weitere Gebäude zu erkunden? Unsere Faltkarte Carte Brute Basel zeigt 40 wegweisende Basler Betonikonen quer durch alle Jahrzehnte, Stile und Genres. Viel Spass auf der Entdeckungstour!
Markthalle
© Karin Bürki/Heartbrut
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Architektonische Rohkost trifft auf kulinarische Feinkost: Die Markthalle beim Bahnhof SBB ist eine in jeder Hinsicht besondere Delikatesse. Beginnen wir mit der Architektur: Sie verfügt über eine der frühesten und zugleich anmutigsten Sichtbetonkuppeln der Schweiz. Das achteckige Schalengewölbe ist 28 Meter hoch, schlappe acht Zentimeter dünn und hat eine Spannweite von 60 Metern. Noch beeindruckender: Bei der Eröffnung im Jahr 1929 war die Halle das drittgrösste Stahlbetonkuppelgebäude der Welt.
2013 wurde der Marktumschlagplatz zum Gastro- und Kulturtreffpunkt umfunktioniert. Unter der denkmalgeschützten Kuppel verköstigt eine Vielzahl von Ständen, Foodtrucks und Bars hungrige Businessleute und Jungvolk mit Spezialitäten aus aller Welt. Abends und am Wochenende stehen regelmässig Konzerte und Events auf dem Programm.
- Alfred A. Goenner, Hans E. Ryhiner 1928-1929
- Viaduktstrasse 10
- Objekt von regionaler Bedeutung
- In der Carte Brute Basel gelistet
Antoniuskirche
© Karin Bürki/Heartbrut
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Sie ist die erste Kirche der Schweiz aus schalungsrohem Stahlbeton – und das im Jahr 1927; rund 25 Jahre, bevor der Begriff Brutalismus geprägt wurde. Der Sakralbau von Karl Moser ist ein Werk der kompromisslosen Superlative: Der Kirchturm ragt 62 unübersehbare Meter in den Himmel, die nüchterne Architektur gemahnt an Industriebauten. Auch künstlerisch beschritt die Antoniuskirche radikal neue Wege in Form riesiger Glasgemälde von Otto Staiger und Hans Stocker. Das war so unverschämt modern, dass der Basler Volksmund eine neue Wortkreation schuf: «Seelensilo».
Mit seiner schroffen und zugleich Ehrfurcht gebietenden Monumentalität sorgte das sakrale Gesamtkunstwerk weit über die Landesgrenzen hinaus für grosses Aufsehen. Die Antoniuskirche zählt zu den bedeutendsten und markantesten Werken der modernen Architektur in der Schweiz. Kein Wunder, ist sie bis heute ein beliebter Wallfahrtsort für Architekturschaffende und Brutalismusbegeisterte aus aller Welt.
- Karl Moser (1925-1927)
- Kannenfeldstrasse 35
- Objekt von nationaler Bedeutung
- In der Carte Brute Basel gelistet
Universitätsbibliothek
© Karin Bürki/Heartbrut
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In der eleganten Betonkuppel des Lesesaals zeigt sich die schweiztypische Eigenschaft, pragmatische und funktionale Lösungen mit hohem Ästhetikanspruch zu verbinden: Die Kuppelform ergab sich aus Akustikanforderungen und den Bedürfnissen der Studierenden. Der «Swiss Finish» zeigt sich auch im skulptural anmutenden Treppenaufgang, wo Béton Brut-Ästhetik auf Marmorakzente und Ulmenfournir trifft. Obwohl ein typisches Produkt seiner Zeit, strahlt der vierstöckige, kubische Erweiterungsbau von Hans Otto Senn aus dem Jahr 1968 eine zeitlose Modernität aus.
2021 erhielt er ein sanftes Facelifting und frische Designakzente: Diverse, im ganzen Gebäude verteilte Lese-Ecken, Lounges und individuell nutzbare Arbeitsplätze laden zum zeitgemässen und entspannten Lesen und Lernen ein. Übrigens: Den besten Blick auf die 60er-Ikone gibt es vom direkt dahinter liegenden Botanischen Garten aus, von wo aus die Kuppel des Lesesaals wie eine riesige Betonkaktee in den Himmel ragt.
- Otto Heinrich Senn (1962-1968)
- Schönbeinstrasse 18-20
- Objekt von regionaler Bedeutung
- In der Carte Brute Basel gelistet
Panton Tunnel
© Karin Bürki/Heartbrut
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Als der dänische Designer Verner Panton den Auftrag erhielt, die triste, fensterlose öffentliche Passage zwischen dem Klinikum II des Universitätsspitals Basel und dem Parkhaus zu verschönern, setzte er voll auf Psychedelik. Warum auch nicht? Es war 1978. Grelle Gelb- und Orangetöne galten als Neutralfarben.
Panton unterteilte den 100 Meter langen unterirdischen Gang in acht Sequenzen in den acht Spektralfarben Orange, Hellrot, Dunkelrot, Aubergine, Lila, Violett, Blau und Türkis. Der Designer malte in der für ihn typischen Allover-Technik direkt auf den Beton, wobei sich Streifen-, Kreis- und Rautenmuster abwechseln, und verwandelte den klaustrophobischen Nicht-Ort in eine halluzinogene Farbexplosion. Peng!
Auch heute noch ist ein Gang durch die Passage ein atemberaubendes Erlebnis, bei dem einem die Kinnlade runterfällt. Enjoy your trip - solange es noch geht: Pantons weltweit einzige erhaltene Rauminstallation muss bald einem neuen Patiententrakt weichen.
- Verner Panton (1978)
- Klingelbergstrasse 20
- Einzige erhaltene Rauminstallation von Verner Panton
- In der Carte Brute Basel gelistet
Silo Erlenmatt
© Karin Bürki/Heartbrut
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Beton und Kaffeebohnen: Im jungen Quartier Erlenmatt Ost in Gehdistanz zum Badischen Bahnhof und der Messe Basel steht die wohl ungewöhnlichste Übernachtungsmöglichkeit der Stadt: Das ehemalige Getreide- und Kakaolager der Stadt Basel aus dem Jahr 1912. Seit 2020 beherbergt es ein Hostel, Restaurant und Ateliers. Der Clou: Die filigrane Betonkonstruktion wurde weitgehend im Originalzustand belassen.
Gezielte Designeingriffe verleihen ihr Stil und Persönlichkeit: Im Restaurant hängen betonierte Abfülltrichter von der Decke; ringförmige Leuchten setzen sie gekonnt in Szene. In den Obergeschossen führen Betonbrücken mit Geländern aus rohem Schwarzstahl über die leeren Silokammern zu den Ateliers und Hostelzimmern. Draussen verströmen runde Fenster mit königsblauen Sonnenhauben unerwartetes Pariser Café-Flair.
Übrigens: Die Kaffeebohnen haben ihren festen Platz behalten und warten nun in den Röstmaschinen des Restaurants auf ihren Einsatz bei brunchenden Einheimischen und Reisenden aus aller Welt; die mit reichlich Grünpflanzen und Loungegelegenheiten ausgestattete Location ist ein hipper Hangout. Aber auch rund ums Silo gibt es einiges zu entdecken. Die autofreie Erlenmattsiedlung bietet viel innovative, ressourcenschonende Architektur und den weitläufigen Erlenpark.
- Rudolf Sandreuter-Jundth (1912), Harry Gugger Studio LTD (2020)
- Signalstrasse 27
- Objekt von regionaler Bedeutung
- In der Carte Brute Basel gelistet
Maurerhalle / Allgemeine Gewerbeschule und Schule für Gestaltung Basel
© Karin Bürki/Heartbrut
© Karin Bürki/Heartbrut
Es ist der eigentliche Hotspot der Basler Betonmoderne: In der Schulanlage von 1961 verbinden sich Architektur, Kunst und Design zu einem Gesamtkunstwerk von internationaler Ausstrahlung. Am Anfang stand die Vision einer den Bauhaus-Idealen verpflichteten Schule und das glückliche Zusammentreffen des Architekten Hermann Baur, des Künstlers Hans Arp und des Grafikers Armin Hofmann. Die betont sachliche, aber ambitionierte Architektur stellte die Studierenden in den Mittelpunkt. Bewegungsfreiheit und der Zugang zu Natur und Kunst sollten zu einem positiven Lernklima beitragen. Das blieb ein hehres Ideal; nichtsdestotrotz geniesst Hans Arps biomorphe Betonstele «Colonne aux éléments interchangeables» auf dem Pausenhof bis heute Kultstatus.
Gleiches gilt für die lichtdurchflutete, filigran gefaltete Maurerhalle, das wahrscheinlich schönste Betonorigami der Welt. Gerade die Schule für Gestaltung setzte aber nicht nur in der Nachkriegsarchitektur, sondern auch im Grafikdesign neue Masstsäbe. Prägend dafür war Armin Hoffmann, der mit seinen Lehrmitteln in den 1960er-Jahren die visuelle Gestaltung revolutionierte und der Schule zu weltweitem Renommee verhalf. Von ihm stammen auch die Betonreliefs im Hauptschulgebäude.
- Hermann Baur u.a. / Hans Arp / Armin Hoffmann (1956-1961)
- Vogelsangstrasse 15
- Objekt von regionaler Bedeutung
- In der Carte Brute Basel gelistet
Theater Basel
© Karin Bürki/Heartbrut
© Karin Bürki/Heartbrut
Hier sorgt schon die Architektur für höchste Dramatik: Ein riesiger Betonbaldachin fällt im steilem Schwung auf Bühne, Foyer und Zuschauersaal. Er ist nur 12 Zentimeter dick, wiegt aber fast 1000 Tonnen. Das war eine Weltneuheit. Die architektonische Experimentierfreude passte zum progressiven Ansatz des Stadttheaters: Als typisches Kind der sechziger Jahre wollte es eine offene, spartenübergreifende «Theaterlandschaft» schaffen, die auch ein Publikum jenseits der Eliten ansprach. So gibt es keine Logen; die leicht gebogenen Reihen mit den eng aneinander gerückten Sitzen sollten das Gemeinschaftsgefühl stärken.
Vom Entwurf bis zur offiziellen Eröffnung im Oktober 1975 dauerte es epische 12 Jahre. Zur Feier fand im ganzen Haus ein Theatermarkt statt. 15’000 Menschen besuchten das Spektakel. Heute gilt das Theater Basel nicht nur als der bedeutendste Kulturbau Basels im 20. Jahrhundert, sondern auch als eines der führenden Mehrspartenhäuser Europas. 2020 wurde das weitläufige Foyer zu einem öffentlichen Begegnungsraum umgestaltet, dem Foyer Public.
- Schwartz & Gutmann (1963-1975)
- Vogelsangstrasse 15
- Schutzobjekt
- In der Carte Brute Basel gelistet
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