Es ist 17 Meter hoch, und erstreckt sich über mehrere Plateaus. Mit seinen seinen Knicken, zahlreichen Öffnungen, Ecken und Kanten sieht es aus wie aus dem Fels gehauen. Am 31. Oktober 1971 wurde das Kirchenmassiv, eingeweiht. Es ist eine Offenbarung, und zwar nicht nur für Fans von Sichtbeton. Kein Wunder, steht Walter Maria Förderers kühne Kombination aus Gesamtkunstwerk und Mehrzweckbau unter nationalem Denkmalschutz. Auf zur Pilgerreise.
Der Aufstieg beginnt eher weltlich. Der Sockelbau an der Rue Principale integriert Bar, Dorfladen, Postschalter und öffentliche Toiletten. Wettergegerbte Chalets säumen die schmale Strasse. Betontreppen führen auf das Plateau. Es ist ein karger, exponierter Platz. In der Mitte plätschert ein Brunnen aus ineinander verschachtelten Betonquadern, mitsamt akkurat arrangierten pinkfarbenen Geranien-Arrangements in Eternitschalen von Willy Guhl. Hier auf der zugigen Esplanade befindet sich auch der etwas versteckte Eingang zur Kirche. Es lohnt sich, einen Moment innezuhalten und die Kräfte zu schonen, denn ab jetzt ist Schnappatmung angesagt.
Der monumentale Innenraum ist selbst für hartgesottene Gemüter ohne religiösen Bezug eine Offenbarung. Der sechseckige, höhlenartige Raum bietet 1000 Menschen Platz. Expressionistische Betonstrukturen, deren Wirkung durch den indirekten Lichteinfall mittels gezielt gesetzten Öffnungen in der zerklüfteten Decke noch verstärkt wird, ziehen das Auge sofort in ihren Bann. Die liturgischen Elemente sind aus Holz und atmen den offenen und integrativen Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962-1965. An den Wänden und Decken schlucken Holzrahmen den Schall und beherbergen Gemälde aus der alten Kirche. Vor der architektonischen Wucht kann man nicht anders, als ergriffen auf die Knie zu fallen.
Doch die Reise ist noch nicht zu Ende. Über eine Treppe gelangt man in die Rue d’Église, wo sich die Postautohaltestelle und der Zugang zum Kirchturm befinden. Hier zeigt sich Förderer von seiner pragmatischen und serviceorientierten Seite: Im Turm befindet sich eine Bibliothek. Ganz oben lockt eine Aussichtsplattform. Sie bietet einen grandiosen Rundblick auf das Dorf, die weissen Erdpyramiden von Euseigne auf der benachbarten Talseite, die schneebedeckte Dent Blanche und weitere hochalpine Gipfel.
Die Romantiker hätten an Förderers erhabener Sakralskulptur ihre wahre Freude gehabt. In den zerklüfteten Felsformationen, verwinkelten Treppen und heiligen Höhlen prallen sie aufeinander, die grossen helvetischen Sehnsuchtskulissen, die Mythen und die Moderne, die Berge und der Beton. Wie dem auch sei, und möge kommen, was wolle. Das Betonherz von Hérémence schlägt weiter, gross, unzerbrechlich und schön. Amen.