Auf einem Parkplatz zwischen dem Genfer Kinderspital und einem Mikrowald spriessen aus dem massiven fraktalen Betonstamm von La Tulipe schlanke Äste und ein filigranes Bronzegitter, das einen schimmernden Kubus aus pastellfarbenem Glassscheiben in Rosa, Blau und Gelb umrahmt. Sogar der futuristische Aufzugseingang aus eloxierter Bronze strahlt so hell wie das Versprechen des wissenschaftlichen Fortschritts – könnte aber auch als Kulisse für einen Bond-Film durchgehen.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Mein Herz schmolz in der Sommersonne dahin.
Was hat es mir geraubt? Die Art und Weise, wie La Tulipe stolz und ohne sich dafür zu entschuldigen, sowohl ihre harten als auch ihre weichen und pastellfarbenen Seiten zeigt und sich spielerisch den Macho-Vibes widersetzt, die oft mit dem Brutalismus in Verbindung gebracht werden.
Das Gebäude erfüllt eindeutig alle Kriterien des Brutalismus und ist ein Kind seiner Zeit, aber es ist einfach zu eigenständig und umwerfend, um in eine Schublade gesteckt zu werden. Die Kernaussage von La Tulipe ist für mich: Wer über die Normen hinweg tanzt, hat mehr Spass. Und das stimmt: Es ist der bewusste Regelbruch, das Unerwartete, das die Magie ausmacht.
Seitdem habe ich Hunderte von brutalistischen Gebäuden fotografiert und darüber geschrieben. Ich lebe und atme den Brutalismus. Aber La Tulipe ist und bleibt mein Crush Nummer eins.