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118 Meter Betonpoetik

118 Meter roher Beton, 21 Stockwerke und ein Weltrekord: Der brachiale Neo-Brutalist im Herzen des Ausgehviertels Kreis 5 ist das höchste Getreidesilo der Welt. Das markante Ausrufezeichen aus dem Jahr 2016 hat die Industriearchitektur in Zürich-West in neue luftige Höhen katapultiert und erhitzt mit seiner architektonischen Schroffheit die Gemüter. Dabei steckt hinter der rauen Schale ein nachhaltiger Kern.

Die Frage ist berechtigt: Was hat ein gigantischer Siloturm mitten in Zürich suchen? Überraschung: Nicht etwa Grössenwahn gab den Ausschlag, sondern Nachhaltigkeit und Logistik. Aber der Reihe nach. Der Siloturm ergänzt die historische Stadtmühle und deckt 30% des nationalen Getreidebedarfs. Da die Stadtmühle über einen eigenen Bahnanschluss für den Getreidetransport verfügt, war die Idee, diesen weiterhin zu 100% zu nutzen, um den CO2-Fussabdruck zu minimieren. Und so verlässt viermal pro Tag ein vollbeladener Getreidezug das Silo Richtung Bahnhof Hardbrücke.

Auch punkto erneuerbarer Energie erweist sich der vermeintliche Betonbösewicht als wahrer Musterknabe: Die Südseite des Turms dient als vertikale Solaranlage. Und schon purzelt der nächste Rekord: Die sechs Paneele bilden die höchste Solarfassade Europas. Sogar der viel geschmähte Schattenwurf erweist sich bei den inzwischen regelmässig auftretenden Hitzewellen als Segen. Egal, ob man ihn mag oder nicht: Der Swissmill-Turm hat sich seinen Status als neues Wahrzeichen von Zürich West mehr als verdient.

Obwohl der Stadtrat 2010 grünes Licht für den radikalen Siloturm gab, formierte sich schnell Widerstand. Die Aussicht auf 21 Stockwerke aus Sichtbeton führte unweigerlich zu hitzigen Debatten. Für die Bewohner des benachbarten Wipkingen war der Hauptstreitpunkt aber nicht etwa die neobrutalistische Architektur als solche, sondern der stundenlange Schatten, den der Turm an Sommernachmittagen auf das beliebte Strandbad Unterer Letten zu werfen drohte. Innerhalb eines Monats unterzeichneten 4000 Einwohnerinnen und Einwohner ein Referendum.

Für die Bewohner des benachbarten Wipkingen war der Hauptstreitpunkt aber nicht etwa die neobrutalistische Architektur als solche, sondern der stundenlange Schatten, den der Turm an Sommernachmittagen auf das beliebte Strandbad Unterer Letten zu werfen drohte. Innerhalb eines Monats unterzeichneten 4000 Einwohnerinnen und Einwohner ein Referendum.

Am 13. Februar 2011 stimmte eine klare Mehrheit von 58,3% für den Siloturm (55'822 legten ein Ja, 39'913 ein Nein in die Urne, die Stimmbeteiligung betrug 45,7%). Als der Turm 2016 schliesslich stand, titelte die unbeeindruckte «NZZ am Sonntag» in ungewohnter Brutalität: «118 Meter Hässlichkeit».  

Bislang hat der Swissmill-Turm verschiedenen Versuchen von Lokalpolitikern und Start-ups, seine Fassade zu verschönern, entschlossen widerstanden. Inzwischen freunden sich auch die Zürcherinnen und Zürcher ihr neues Wahrzeichen aus Beton langsam an. Vor allem mit dem Schatten, den es bei Hitzewellen wirft.

Swissmill Tower © Karin Bürki / Heartbrut.com
Zurich, Lake Zurich & Uetliberg, seen from Swissmill Tower, spring 2018 © Karin Bürki / HEARTBRUT
Zurich West & Hardbrücke, seen from Swissmill Tower, spring 2018 © Karin Bürki / HEARTBRUT

© Karin Bürki/Heartbrut

© Karin Bürki/Heartbrut

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