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Carte Brute Feature & Interview, Maisons et Ambiances, 2021. Explore more on Heartbrut.com

Maisons et Ambiances Magazine

DOPPELSEITIGES INTERVIEW & FEATURE

Destinationen

Beton war noch nie so trendy. Prada und Yeezy, die Marke des Rapper Kanye West, defilieren im Hauptquartier der Kommunistischen Partei Frankreichs in Paris, das legendäre Werk von Oscar Niemeyer. Wir machen Selfies in der Corbusiers Unité d’habitation in Marseille. Und wenn wir heute ins Barbican in London gehen, dann eher für das Gebäude als für die Ausstellungen. Was für manche ein architektonischer Albtraum war, hat sich zu einem erfolgreichen Hashtag entwickelt. In der Schweiz zeigt die CARTE BRUTE von HEARTBRUT in das brutalistische Gesicht unseres Landes in 50 Gebäuden. EinTreffen mit der Initiatorin, der Zürcher Autorin und Fotografin Karin Bürki.

Was ist Brutalismus?

Karin Bürki: Ein brutalistisches Gebäude besteht in der Regel aus Sichtbeton. Die Formen sind massiv und geometrisch und sein Aussehen oft streng. Die Ursprünge der Bewegung gehen auf Le Corbusier und seine Nachkriegsbauten, wie die Unité d’habitation in Marseille (1947-1952), zurück. Aber es waren die Briten Peter und Alison Smithson, die in den 1950er Jahren den Begriff in Bezug auf das unvollendete Material durchsetzten.

 

Der Brutalismus, der aus den Ruinen der Nachkriegsjahre geboren wurde, steht für eine egalitäre Ethik. Beton ermöglichte einerseits den schnellen und kostengünstigen Wiederaufbau und lieferte andererseits ganz konkrete Lösungen für den massiven Bedarf an Wohnüberbauungen und Sozialwohnungen, der im Zug der expandierenden Städte einsetzte. Für Architekturbüros auf der ganzen Welt eröffneten sich neuartige Ausdrucksmöglichkeiten. Brutalismus war zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren stilprägend. Dann folgte die Ernüchterung. Seine Hässlichkeit wird angeprangert und gar als unmenschlich verurteilt. Heute begeistern sich junge Kreative wieder für die Bauten, die sie online finden.

In der Tat ist #brutalism ein Hit auf den sozialen Netzwerken. Laut der Kritikerin Alice Rawsthorn ist der digitale Erfolg teilweise auf die pixelige Textur zurückzuführen. Sie sind auch auf Instagram unter @heartbrut sehr aktiv. Warum ist die Begeisterung Ihrer Meinung nach so gross?

KB: Brutalismus und Fotografie gehen Hand in Hand. Die Bilder sind sehr geometrisch und expressiv, sie ziehen die Blicke regelrecht an. Das sind Eigenschaften, die in sozialen Netzwerken sehr gut ankommen. Die extreme Materialität der Bauwerke übt wahrscheinlich auch eine gewisse «exotische» Faszination auf eine Generation aus, die in einer entmaterialisierten digitalen Kultur aufgewachsen ist. Als ich anfing, Bilder brutalistischer Architektur auf meinem Instagram-Account zu teilen, war ich beeindruckt von der Vielfalt der Menschen, die sich dafür interessierten. Sie berührt alle Altersgruppen und die unterschiedlichsten Profile. Im wirklichen Leben polarisieren Betongebäude, aber online passiert genau das Gegenteil. Ironischerweise ist der Brutalismus auf Instagram so etwas wie der grosse gemeinsame Nenner!

2018 haben Sie die limitierte Postkartenserie «Brutalist Beauties No 1» veröffentlicht mit Gebäuden aus London und Zürich. In Ihrer neuen Landkarte CARTE BRUTE präsentieren Sie 50 Objekte aus der ganzen Schweiz. Konnten Sie bei deren Erfassung einen spezifisch schweizerischen brutalistischen Stil feststellen?

KB: KB: Ja. Meiner Meinung nach zeichnet er sich durch einen gewissen Pragmatismus und eine sorgfältige Ausführung aus. Man mag es hierzulande lieber gepflegt als roh. Eine Besonderheit ist auch, dass sich die Architekturbüros mehr für das «Edle» des Betons als für seine Rauheit interessierten. So entstand die charakteristische Synthese zwischen rein technisch-rationalistischem Ansatz und künstlerischer Ambition. Das Spektrum ist jedoch breit und erstreckt sich von der kargen Box bis hin zur grossen architektonischen Geste.

Was ist Ihrer Meinung nach DIE brutalistische Destination im Land?

KB: KB: Zweifellos Basel und Umgebung! Der perfekte Ort, um den Reichtum unseres brutalistischen Erbes zu entdecken. Es gibt so viele alte Gebäude wie neuere, darunter die allererste in Stahlbeton erbaute Kirche in der Schweiz, die von Karl Moser 1927 entworfene Antoniuskirche. Ich empfehle auch einen Besuch der «Maurerhalle» von Hermann Baur (1961), wohl das schönste Beton-Origami auf dem Planeten. Liebhaberinnen und Liebhaber zeitgenössischer Architektur sollten unbedingt einen Zwischenstopp beim Wohnturm Helsinki Dreispitz (2014) von Herzog und de Meuron in Münchenstein einen Besuch einplanen, bevor es weiter Richtung Agglomeration geht. Dort gibt es das berühmte Goetheanum (1928) in Dornach und die Neumatt-Schule (1962) in Aesch zu bewundern.

Und Ihr Favorit??

KB: La Tulipe in Genf. Es erinnert mich an einen Kristall, der auf die Erde gefallen ist. Es ist auch Welten entfernt von der männlichen Askese, die die meisten brutalistischen Objekte hierzulande kennzeichnet. Es ist ein seltenes und radikales Gestirn im Schweizer Kosmos.

Karin Bürki: Ein brutalistisches Gebäude besteht in der Regel aus Sichtbeton. Die Formen sind massiv und geometrisch und sein Aussehen oft streng. Die Ursprünge der Bewegung gehen auf Le Corbusier und seine Nachkriegsbauten, wie die Unité d’habitation in Marseille (1947-1952), zurück. Aber es waren die Briten Peter und Alison Smithson, die in den 1950er Jahren den Begriff in Bezug auf das unvollendete Material durchsetzten.

 

Wer sind die zeitgenössischen Figuren des Brutalismus in der Schweiz?

KB: Wenn wir von ausdrucksstarker Architektur sprechen, die von der «all over rough»-Ästhetik des Brutalismus inspiriert ist, würde ich natürlich Herzog und de Meuron zitieren, aber auch Buchner Bründler, Gus Wüstemann oder Valerio Olgiati.