Wounds, Malevich and concrete dreams

Das zweigeschossige Einfamilienhaus aus dem Jahr 1961 wurde ursprünglich von Rolf Müller entworfen und liegt am südwestlichen Rand von Allschwil, einem Dorf am Stadtrand von Basel. Das erste, was ins Auge sticht, ist das markante Pultdach aus gewelltem Eternit. Als nächstes fallen die roten Fensterrahmen auf. Das gestrichene Mauerwerk, der Sichtbeton und die Metallgeländer mit feinem Drahtgeflecht spiegeln den kühnen Optimismus der frühen Sechzigerjahre wider. Aber wir haben es hier nicht mit einer perfektionsbetonten Fassaden-Aufhübschung eines brutalistischen Bauwerks zu tun. Dieses Haus scheut sich nicht davor, seine Wunden und Risse zwischen zeitgenössischer Kunst, suprematistisch inspirierten Wandmalereien und neobrutalistischen Architektur-Statements zu entblössen.

Sprechen wir zunächst über die Verletzungen: Zwischen 1965 und 1972 wurden diverse Um- und Anbauten vorgenommen, die der Persönlichkeit des Gebäudes massiv zusetzten. 2019 stand eine weitere Umgestaltung an. Zum Glück für das Haus ging der Auftrag an Buchner Bründler Architekten, ein junges Basler Büro mit neobrutalistischen Neigungen. Die erste Aufgabe bestand darin, die zahlreichen Brüche, Wunden und Traumata zu flicken. Nach der Wiederherstellung der architektonischen Integrität entwarf das Team ein völlig neues Farbkonzept in Schwarz, Weiss und Grün. Eine tiefschwarze Holzschalung aus Seekiefer verkleidet die neuen Wandflächen, während die Böden grün gestrichen wurden. Der Duschbereich aus Sichtbeton ist ein wahr gewordener Traum für Liebhaberinnen des Brutalismus. Die ehemalige Garage beherbergt jetzt das Hauptschlafzimmer und ist ganz in Schwarz gehalten. Ein grüner Kreis und ein schwarzes Quadrat an der Seitenwand des überhohen und offen gestalteten Wohnbereichs grüssen Malewitsch. Das Hingucker schlechthin ist aber zweifellos das Gästezimmer. Der kleine, kubische Anbau aus Glas und Beton verfügt über zwei grosse runde Fenster. Die Betonbox ist die neue, selbstbewusste Signatur des Hauses und schliesst den Kreis zu Rolf Müllers wegweisendem Original-Entwurf.

Die jetzigen Bewohner haben die wechselvolle architektonische Geschichte und den radikalen Charakter des Hauses mit einem eklektischen Mix aus zeitgenössischen Kunst- und Designobjekten und Retro-Mobiliar gekonnt aufgenommen und neu interpretiert. Wobei die Sache sehr weit entfernt ist von der durchgestylten Designer-Sterilität, unter der viele Schweizer Inneneinrichtungen leiden und bei denen man sich stets fragt, wo eigentlich der Spass und Schmutz versteckt ist. Nein, diese Familie zieht es eindeutig vor, in ihrem Zuhause zu leben. Definitiv mehr Apartamento als Das Ideale Heim. Die Atmosphäre ist wohltuend entspannt, warm und einladend.

Ps: Ich hatte die Gelegenheit, das Haus anlässlich des Open House Basel 2021 zu besuchen. Es war ein prächtiger Frühsommernachmittag. Kinder tummelten sich im Pool, während Nick Cave aus den Lautsprechern akustische Regenbogenschauer sanft niederprasseln liess. Eine kurze Atempause von der Pandemie. Genau die richtige Dosis Architektur-Therapie zur richtigen Zeit. Diese Haus-Tour wird sich für immer als erster Ausflug zurück zur Normalität im Gedächtnis einbrennen.