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Bloss ein weiteres Betonmonster? Bei der nächsten Fahrt im Schnellzug durch Brugg lohnt sich ein frischer Blick auf den «Klotz»

Er steht gleich neben dem Bahnhof und ist ist ein vertrauter Anblick für alle, die regelmässig im Schnellzug von Ost nach West und umgekehrt unterwegs sind. Für die meisten ist er einfach ein weiterer Betonklotz, wie er hundertfach auf der Zugfahrt durch das Schweizer Mittelland das Fenster passiert. Aber das ist der Neumarkt Brugg eben nicht, ganz im Gegenteil. Das Einkaufszentrum mit direktem Bahnanschluss und integriertem Büroturm war das Herzstück eines visionären urbanen Gestaltungsplans, der in den 1960ern vom Brugger Stadtrat und einer progressiven Gruppe um den Architekten Hans Ulrich Scherer entworfen worden war.

Genannt «Brugg 2000», beabsichtigte der Plan, die Altstadt in eine lebendige, verdichtete und vor allem autofreie «City Zone» umzugestalten mit Warenhäusern, Geschäften, Restaurants und diversem Gewerbe. Das fussgängerfreundliche Papier war radikal vor seiner Zeit - wenn man sich in Erinnerung ruft, dass es auf der Höhe des Autozeitalters entstand, als Einkaufszentren auf der grünen Wiese boomten. Das brutalistische Design sollte der visionären, zukunftsgewandten Ambition der Stadt robuste architektonische Form verleihen. Obwohl der Plan kontrovers war, spielten ästhetische Bedenken dabei aber keine Rolle.

Der Neumarkt teilt sich in ein langes, horizontalen Rechteck mit Einkaufszentrum und Parkhaus und einen vertikalen Teil mit Büroturm auf. Ein auskragendes Fensterband aus forfabrizierten Betonlamellen verbindet die beiden Trakte auf der Höhe der Terrasse. Die Bauarbeiten für das Einkaufszentrum begannen 1971. Ein Jahr nach dessen Fertigstellung kam der Büroteil dazu. Der Turm setzt sich aus zwei unterschiedlich hohen Blöcken zusammen und folgt einem Windmühlen-Grundriss - sowie der damaligen Mode für Geschäfts-und Verwaltungsgebäude: Metallverkleidungen und abgerundete Ecken galten anfangs der Siebzigerjahre als der letzte Schrei.

Die glatte, stromlinienförmige Alu-Fassade schielt unverholen auf die Finanz-und Wirtschaftszentren Zürich und Genf, während der eher behäbig geratene Shoppingteil mit seiner grob gestockten Betonstruktur fest im tiefen Schweizer Mittelland verwurzelt bleibt. So bildet der Neumarkt sozusagen die guteidgenössische architektonische Kompromisslösung zwischen unbeschwertem Saus-und Brauskonsum und aufkommender Umweltschutzbewegung um 1970. Nun gehört zu jedem Kompromiss auch der Widerspruch. Die ausgeprägte skulpturale Formsprache lotet diesen elegant aus und verleiht dem Bau die Dynamik und Vielschichtigkeit, ohne die die Geschichte tatsächlich in der wuchtigen Klotzigkeit geendet hätte, wie sie dem Neumarkt bis heute vorgeworfen wird. Jedenfalls blieb dem Zentrum das Schicksal einer «Revitalisierung», wie sie der sich vis-à-vis befindende Neumarkt II gerade erlebt, erspart. Und so steht der ehemalige Pionier auch als Pensionär weiterhin trotzig da und wartet auf den nächsten Zug.

© Karin Bürki/Heartbrut

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